Die Beendigung der unbegrenzten Videosprechstunde ist aus Sicht der Psychotherapeuten ein Fehler. Offener Brief an die Kassenärztliche Bundesvereinigung.
In einem offenen Brief an den Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Andreas Gassen ruft der Vorsitzende des Deutschen Psychotherapeuten Netzwerks (DPNW) Dieter Adler dazu auf, die Sonderregelung zum unbegrenzten Einsatz von Videosprechstunden in der Psychotherapie fortzuführen.
o Bedarf an psychischen Hilfen ist größer denn je
o Infektionsgeschehen verhindert häufig persönliche Behandlungen
o Kinder und Jugendliche sind am stärksten betroffen vom Wegfall
o Neue digital Behandlungswelt kann nicht einfach rückgängig gemacht werden
o Videosprechstunden sind der beste Infektionsschutz
Mit dem Auslaufen der Corona-Sonderregelungen zum 31.03.2022 endet auch die Sonderregelung zum unbegrenzten Einsatz von Psychotherapie-Videosprechstunden. Damit dürften zukünftig maximal 20 Prozent der Patienten per Video therapiert und abgerechnet werden.
In seinem offenen Brief schreibt Adler: „Wir halten dies für einen falschen Schritt zur falschen Zeit. Wir alle wissen, dass psychische Belastungen und Erkrankungen in der Pandemie und auch durch den Ukraine-Krieg zugenommen haben. Der Bedarf ist größer denn je. Hinzu kommen besondere Problemstellungen von Patienten, die wegen Corona oder Impfauflagen oder Vorerkrankungen keine normalen Psychotherapie-Sitzungen besuchen können. All diese Patienten fallen am 01.04.2022 durchs Raster und stehen ohne jegliche seelische Behandlung dar. Das ist insbesondere für instabile Patienten ein großes Unglück. Jetzt, wo sie es am nötigsten haben, stehen Sie ohne jede seelische Unterstützung dar. Wir können das als verantwortungsvolle Psychotherapeuten nicht mittragen. Das ist ein Fehler!“
Weiter führt Adler aus, dass es Patientengruppen gibt, die besonders hart vom Wegfall der Videosprechstunden betroffen wären, dazu gehören:
– ungeimpfte Patientinnen und Patienten (dies hat oft krankheitsbedingte Ursachen)
– Jugendliche in Jugendhilfeeinrichtungen, die häufig in Quarantäne geraten
– Patientinnen und Patienten, die Familienmitglieder im eigenen Haushalt schützen müssen
– Patientinnen und Patienten im ländlichen Raum, die keinen fahrbaren Untersatz besitzen und in Dörfern leben, die unzureichend angebunden sind an den öffentlichen Personennahverkehr
– Kinder und Jugendliche mit berufstätigen Eltern, die ihre Kinder nicht fahren können
– Patienten und Behandler mit Vorerkrankungen (z.B. Auto-Immun-Erkrankungen), die sich selbst – trotz Impfungen – schützen müssen.
Digitale Strukturen im Patienten-Behandler-Verhältnis lassen sich nicht einfach zurückdrehen
Der DPNW-Vorsitzende beschreibt die neuen Realitäten: „Wir haben in den letzten zwei Jahren ein neues Kapitel aufgeschlagen durch den Einsatz digitaler Möglichkeiten. Damit haben wir Strukturen im Patienten-Behandler-Verhältnis geschaffen, die sich nicht einfach so von jetzt auf gleich zurückdrehen lassen. Ob wir das gut finden oder nicht. Wir halten die persönliche Sitzung nach wie vor für den Königsweg. Aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, dass durch die Pandemie neue Behandlungsszenarien entstanden sind, mit denen wir umgehen müssen.“
Sollte der Wegfall der Sonderreglung kommen, so ist Adler überzeugt, entfallen viele bestehende und helfende Psychotherapien von jetzt auf gleich.
Adler meint: „Dies ist umso unverständlicher angesichts der höchsten Inzidenzen seit Pandemiebeginn in Deutschland und der Tatsache, dass aktuell am meisten positive Covid 19-Befunde bei Kindern und Jugendlichen vorkommen. Leider die bis dato am wenigsten komplett geimpfte Bevölkerungsgruppe. Wir wünschen uns, dass Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten entscheiden können, ob und wie viele Therapiestunden via Video angeboten werden. Diese kennen die Lebensumstände ihrer Patienten am besten und können so flexibel auf die aktuellen Problemlagen reagieren. Die Videotherapie ist der beste Infektionsschutz.“
Der drittgrößte deutsche Psychotherapeutenverband appelliert an den KBV-Vorsitzenden Gassen: „Bitte beziehen Sie unsere Berichte aus der Praxis mit in Ihre Entscheidungsfindung ein. Sie haben die Macht, das zu ändern. Wir alle haben eine anstrengende und belastende Zeit hinter uns. Keiner ist davon verschont geblieben. Das, was uns hilft ist die Mitmenschlichkeit. Und das, was uns hilft, ist die Kontinuität von persönlichen, familiären, freundschaftlichen und therapeutischen Beziehungen. Lassen Sie uns das Miteinander aufrechterhalten!“
Über den Verband
Das „Deutsche Psychotherapeuten Netzwerk – Kollegennetzwerk Psychotherapie“ (DPNW) wurde am 02.05.2019 in Bonn gegründet. Es hat über 2.000 Mitglieder und 12.000 Abonnenten seines Freitags-Newsletters. Damit ist der DPNW drittgrößter Berufsverband im Bereich Psychotherapie. Der Vorstand besteht aus: 1. Vorsitzender: Dipl.-Psych. Dieter Adler, 2. Vorsitzende: Dipl.-Psych. Claudia Reimer, Kassenwart: Dipl.-Psych. Robert Warzecha. Mehr unter: www.dpnw.de
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